Urteil: Deutsche Bahn muss binäre Anrede bei nicht-binärer Person unterlassen

Pressemitteilung: Urteil zu geschlechtergerechter Anrede: Die Deutsche Bahn muss die Anrede nicht-binärer Menschen berücksichtigen, sonst drohen ihr Strafzahlungen

Frankfurt, 19. April 2022 – Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 14.04.2022 (AZ 9 U 84/21) die Berufung der Deutschen Bahn zurückgewiesen. Damit wird ein Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 26. August 2021 (AZ 2-30 O 154/20) rechtskräftig, das die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen im Onlinehandel grundlegend stärkt. Robin Nobicht hatte gemeinsam mit der Frankfurter Rechtsanwältin Friederike Boll erfolgreich gegen die Deutsche Bahn geklagt. Nobicht wird beim Ticketkauf gezwungen, sich für die Anrede Frau oder Herr zu entscheiden. Nobicht ist jedoch nicht-binär, identifiziert sich also weder als Frau oder Mann. Die Deutsche Bahn wurde nun vom Oberlandesgericht dazu angewiesen, ihre IT-Plattform so umzustellen, dass sie Nobicht nicht mehr falsch anredet. Ihr drohen andernfalls Strafzahlungen bis zu 250.000 Euro bei jedem Ticketkauf, bei dem sie Nobicht weiterhin falsch anredet.

„Es sind nicht alle Menschen weiblich oder männlich, das ist rechtlich schon lange anerkannt. Nicht-binäre Menschen sind gesetzlich besonders vor Diskriminierung geschützt. Die Deutsche Bahn besteht seit Jahren dennoch darauf, alle Menschen als Frau oder Herr anzusprechen. Die Deutsche Bahn verstößt dabei konsequent und wissentlich gegen geltendes Recht, und baut darauf, dass sich kein Mensch wehrt“, dazu Nobicht. „Dank dieses Urteils ist damit nun bald Schluss. Darüber bin ich froh, nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen nicht-binären Menschen, die mit der Bahn fahren. Ich hoffe, dass auch andere Unternehmen sich von diesem Urteil dazu inspirieren lassen, ihre nicht-binären Kund*innen richtig anzusprechen.“ 

Die falsche geschlechtliche Anrede stellt einen Verstoß gegen das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung dar. Dagegen können Betroffene Unterlassungsansprüche wie auch Schadensersatz und Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geltend machen. Das Landgericht Frankfurt hatte entschieden, dass die Deutsche Bahn verpflichtet ist, die falsche Anrede zu unterlassen. Die dagegen gerichtete Berufung der Deutschen Bahn war verspätet und damit unzulässig.

Nobicht fährt regelmäßig mit der Bahn. Nach der Streichung des Geschlechtseintrags im Pass, bemühte Nobicht sich zunächst intensiv online und telefonisch, die Deutsche Bahn davon zu überzeugen, die hinterlegten Daten anzupassen – jedoch ohne Erfolg. Bei jedem Ticketkauf ist Nobicht gezwungen, zwischen einer Anrede als Frau oder Herr auszuwählen. „Dabei würde es völlig ausreichen, wenn die Deutsche Bahn auf die Anrede mit Frau und Herr verzichtet und mich mit Guten Tag Robin Nobicht anspricht“, erklärt Nobicht.

Die Deutsche Bahn rechtfertigt die zwingende binäre Anrede damit, dass eine Umstellung des IT-Systems nach ihren Angaben 3 Millionen Euro kosten und anderthalb bis zwei Jahre in Anspruch nehmen würde. Notwendig ist diese Umstellung schon seit 2013, als die Möglichkeit eingeführt wurde, den Geschlechtseintrag zu streichen. Diese Notwendigkeit wurde abermals durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Dritten Option von 2017 und der darauf folgenden Änderung des Personenstandsgesetzes zum Januar 2019 unterstrichen.

Teuer könnte es nun stattdessen schnell werden, wenn die Deutsche Bahn ihr System nicht umstellt. Jeder Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung kann zur Verhängung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro gegen die Deutsche Bahn führen. „Einige Online-Verkaufsplattformen haben inzwischen reagiert und bieten geschlechtsneutrale Anreden an. Aber die Deutsche Bahn ist kein Einzelfall. Gerade im Onlinehandel fehlen vielfach noch passende Anredemöglichkeiten für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen“, meint dazu Friederike Boll, Rechtsanwältin im Verfahren. „Die Signalwirkung dieses Urteils ist deshalb kaum zu unterschätzen. Wir hoffen, dass jetzt im Onlinehandel bald überall die Möglichkeit eingeführt wird, eine geschlechtsneutrale Anrede zu wählen. Dies würde dazu beitragen, die Diskriminierung von trans*, inter* und nicht-binären Menschen im Onlinehandel abzubauen.“

Das hofft auch René_ Rain Hornstein von der TIN-Rechtshilfe, einer Organisation, die Robin Nobicht und andere trans*, inter* und nicht-binären Menschen in strategischen Verfahren begleitet. „Die Politik hat zwar die Möglichkeit eingeführt, ‚divers’ als Geschlecht eintragen zulassen oder den Geschlechtseintrag zu streichen – mit allen Folgeproblemen hat sie uns jedoch allein gelassen. Es ist eine enorme Hürde, sich als betroffene Einzelperson vor Gericht zu begeben, um sich mit Großkonzernen zu streiten, die sich weigern, Diskriminierung abzubauen. Deshalb begleiten wir betroffene Personen vor Gericht. Wir freuen uns über dieses Urteil, das die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen im Onlinehandel stärkt. Wir sind zuversichtlich, dass dieses Urteil Menschen ermutigt, sich gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung zu wehren.”

Link zur Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main zum vorliegenden Urteil: 

https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/presse/nicht-binaere-geschlechtsidentitaet

Kontakt für Nachfragen und Interviewanfragen an Robin Nobicht und René_ Rain Hornstein:

presse@tinrechtshilfe.de

+49 177 2o596o6

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